Montag, 17. Dezember 2012

Schriftgestaltung

Ein Schriftgestalter ist ein Gestalter, der sich auch auf das Thema Schrift beschränkt, aber gleichzeitig sich die ganze Breite dieses Themas mehr oder weniger aneignet.
Daneben ist ein Typedesigner ein Spezialist, der sich hauptsächlich auf die Schöpfung eines Typedesigns, also mit der Herstellung eines Fonts beschäftigt. Zu vergleichen ist dieser Unterschied mit zwei Begriffen aus der Landwirtschaft: Der Permakultur auf der einen Seite und der Monokultur auf der anderen Seite. Während ein Schriftgestalter versucht ein Biotop, einen Garten, anzulegen, dessen einzelne Pflanzen sich jeweils gegenseitig bedingen, werden in einer Monokultur Pflanzen, weniger Sorten, im großen Stile anbaut.

Grundvoraussetzung für einen Schriftgestalter ist die Konzentration auf die Schöpfung von und mit Buchstaben, bei gleichzeitiger Offenheit für deren materielle Erscheinungsform und Umsetzung. Eine besonders fruchtbare Zeit für diese Haltung ist das Aufkommen und der Umgang mit dem Computer, bei einer gleichzeitig umfassenden Training von manuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Gute Beispiele von Gestalterpersönlichkeiten dieser Zeit sind Michael Harvey, Gerrit Noordzij, Axel Bertram oder u.a. das Ehepaar Gudrun und Hermann Zapf. Aber auch Fred Smeijers, der sich selbst als Typedesigner sieht, gehört zu diesen Vertretern.
Besonderes Kennzeichen dieser Gestalter ist die Existenz zwischen den verschiedensten Techniken, zur Erschaffung und dem Umgang mit Schriftzeichen. Statt einer sehr genau ausdifferenzierten Tätigkeit, handelt es sich bei dieser Form der Gestaltung eher um ein Tätigkeitsfeld. Dieses Tätigkeitsfeld lässt sich durch zwei Extreme begrenzen:
Man stelle sich eine Skala von Links nach Rechts vor. An dem linken Ende dieser Skala befindet sich die Kalligrafie, die sich aus der Beziehung von der gezeichneten Spur zu Sprache und Klängen entwickelt hat. Am rechten Ende der Skala steht das Typedesign, das mit der Schaffung von Satzschriften, die Grundlage der Typografie darstellt. Deren Aufgabe vor allem in der Vervielfältigung von Texten besteht.
Während die linke Seite eher auf manuellen sensitiven Umgang beruht, bezeichnet die rechte Seite eher eine diskret kognitive Tätigkeit.
Wie eine Bewegungsrichtung immer ein Woher und Wohin braucht, stellt die Kalligrafie eher das Woher dar und das Typedesign eher das Wohin. Diese Idee kann leicht zu der Überzeugung führen, sich nur um das Wohin zu kümmern. Doch eine tatsächlich innere Führung dieser Bewegungsrichtung kann immer nur aus einer stabilen Verbindung zwischen dem Woher und Wohin beruhen. Nur der, der weiß wo er herkommt, weiß wo er hin möchte. Es entsteht ein gestalterisches Unterwegs-Sein.





Die beiden Extreme, Kalligrafie und Typedesign, sind verbunden durch das Lettering.
Kalligrafie bezeichnet geschriebene Schrift. Das heisst, die einzelnen Teile eine Buchstaben werden durch jeweils einen Strich gebildet (Siehe Abb. obere Hälfte = eine Farbe ein Pinselstrich). Das ist die schnellste und spontanste Form, ein Wortbild zu erzeugen. Damit ist die Kalligrafie Grundlage aller Erscheinungsformen von Schrift. Allerdings ist bei dieser Technik die höchste Form der Konzentration und Übung erforderlich, um eine formale Qualität von Schrift, mit der Bewegung des eigenen Körpers zu erzeugen. Schreibwerkzeug, Medium (Farbe, Tinte etc.) und Schreibgrund können unterschiedlichster Erscheinung sein, wenn nur das oben genannte Kriterium erfüllt ist.
Aufbauend darauf, formt sich bei einer gezeichneten Schriftform (Lettering) der Buchstabe immer aus mehr als diesem einen Strich. Zur Verdeutlichung zeige ich in der Mitte der Abbildung, zwei Techniken zur Herstellung von Buchstabenformen. 
Der Formbildungsprozess in der Mitte links, zeigt eine von Gerrit Noordzij präferierte Möglichkeit. Aus einer Schraffur entsteht die Form eines Buchstabens, der erst im letzten Schritt mit einer Kontur begrenzt wird. 
Die in der Mitte rechts dargestellte Form zeigt eine andere Möglichkeit, die von Michael Harvey bevorzugt wird. 
Beide Methoden verbindet, dass sie nicht nur den Umriss einer Buchstabenform zeigen, sondern dessen körperliche Erscheinung betonen. Nur eine schwarze Buchstabenform kann eine gute Grundlage für die rhythmische Strukturierung des weißen Raumes, in und um einen Buchstaben, bilden.
Das Lettering beschränkt sich keinesfalls nur auf den Umgang mit einem Stift oder auch einem digitalen Zeichenwerkzeug. Lettering ist, im weiteren Sinne, zum Beisiel auch das was ein Stempelschneider oder Lettercutter tut.
Darauf baut das Typedesign auf: Das durch bestimmte kalligraphische Konventionen entstandene Wortbild, und dessen kleinste Einheit, der Buchstabe, werden in einem Prozess der Formalisierung überzeichnet (Lettering). Nachdem die schwarze Schriftform, auf einer Grundlinie, die weiße Innenform eines Buchstaben bestimmt hat, wird auch der weiße Raum um den Buchstaben, in Beziehung der möglichen vorhergehenden und nachfolgenden Buchstaben, genau bestimmt. Dieses Gebilde aus Form und Gegenform, samt Vor- und Nachweite, wird in einem nächsten Schritt reproduzierbar gemacht (Siehe Abb.). Insofern unterscheiden sich manueller Schriftsatz seit Gutenberg und digitaler Schriftsatz wenig voneinander. In einem wesentlichen Punkt ist der Unterschied doch wichtig: Die eine Technik beruht auf einem tatsächlichen Schriftkörper (Schriftkegel). Die andere erzeugt nur das Bild, was der Schriftkörper, auf der zu beschreibenden Fläche, hinterlässt. 
Innerhalb dieses Modells, zur Erklärung von Schriftgestaltung, kann man beobachten: In der Bewegung von Links nach Rechts entsteht eine Rationalisierung, eine Entkörperlichung. Es gibt daher ein Lettering, was in seiner Tendenz eher mit Typedesign in Beziehung steht, und es gibt ein Lettering, welches in seiner Tendenz eher mit Kalligrafie in Beziehung steht. 
Dieses theoretische Modell hilft das Schaffen eines Schriftgestalters abzubilden. In welcher Spannung jede einzelne Gestalterpersönlichkeit darin steht, zeigt sich in deren Werken. Wobei auch jedes einzelne Projekt jeweils innerhalb dieses Feldes positioniert sein kein. Ein Typedesign (z.B. Rialto oder Trinité) kann durch all die Spannungen dieses Feldes gegangen sein, wie auch ein Kalligraf oder eine kalligrafische Arbeit eine starke Verbindung mit der Formalisierung von Typedesign eingehen kann.







Freitag, 5. Oktober 2012

Von Schreiben und Schrift
Ein Interview: Entstanden im Zuge der Diplomarbeit von Sebastian Wieland, im Fach Kommunikationsdesign, an der FH Trier.


Descartes-Herder: 200x98cm, Pinsel und Gouache auf Papier








Was genau hat Sie so stark beeinflusst, sich intensiv auf Ihrem beruflichen Weg mit Kalligrafie auseinanderzusetzen? Welche Kalligrafen bzw. Künstler inspirieren Sie heute und welche in vergangener Zeit? 

Ich war als Kind begeistert wenn mein Vater mit Hingabe herrlich verflochtene und verzierte Frakturbuchstaben schrieb und zeichnete. Auf der anderen Seite bin ich Linkshänder und hatte in der Schule wenig Freude am Schreiben, obwohl ich mit Hingabe und Freude schon sehr früh gelesen habe. Als ich mich nach einem abgebrochenen Gitarrenstudium endlich ganz entschlossen der Kunst zuwandte, wurde schnell klar, das mich vor allem Buchstaben und Schrift begeistern. 
Ich war immer vielseitig an Kunst interessiert. Mit meinem Grafikdesignstudium tat sich mir die Welt der Gestaltung auf. Wichtige Anstösse waren die Arbeiten und Texte von Edward Johnston,Tschichold, Max Bill, Josef Müller-Brockmann und Adrian Frutiger. Sehr nahe, in seiner gestalterischen Haltung, war mir  Christof Gassner. Ich studierte bei Hanka Polkehn, einer Schülerin von Axel Bertram, dessen Arbeiten mich ebenfalls beeindruckten. Mit meinem Studium in Leipzig, bei dem Typedesigner Fred Smeijers, aber auch schon davor, entdeckte ich die Liebe zur holländischen Schriftgestaltung. Wichtige Namen sind für mich da Gerrit Noordzij oder Bram de Does.
Heute sind es vor allem Grenzgänger, die mich interessieren. Der Schildermaler, Kalligraf und Schrifthistoriker Edward M. Catich oder der Künstler und Kalligraf Tom Kemp, die einen wichtigen Teil ihres Lebens den römischen Inschriften und deren handwerklichen Entstehung gewidmet haben. Vor allem die angelsächsischen Schriftkünstler ziehen mich an: Zum Beispiel die Arbeiten des Dichters und Poeten Ian Hamilton Finlay und dessen Zusammenarbeit mit dem Schriftgestalter Michael Harvey.
Bei Finlay und Harvey interessiert mich vor allem, wie geistige Tätigkeit und Handwerk, Denken und Handeln, Inhalt und Form, in ihrer Erscheinung und ihrem Prozess, eine unzertrennliche und lebendige Zwiefalt (Dieses  Wort ist Martin Buber entlehnt.) eingehen. 


Ian Hamilton Finlay/Keith Bailey, Ausschnitt aus einem Photo von Werner J. Hannappel, aus: Ian Hamilton Finlay – Works in Europe 1972–1995





Wie sieht Ihre Planung für eine kalligrafische Arbeit aus? 

Ich befasse mich nicht nur mit Kalligrafie. Ich befasse mich mit Schriftgestaltung. Schriftgestaltung ist Zwiefältig und setzt sich aus geschriebener Schrift (Kalligrafie) als ein Extrem, und gesetzter Schrift (Typedesign) als ein anderes Extrem zusammen. Dazwischen gibt es vielerlei Arten einen Buchstaben eine Form zu geben. Allerdings bin ich der geschriebenen Form von Schrift sehr verbunden, da sie die direkteste und sinnlichste Art ist, Schrift zu erleben. Ähnlich einer Skizze für einen Maler, ist die geschriebene Schrift Grundlage meines Handelns.
Am Anfang steht manchmal eine bestimmte Schrift oder Schreibtechnik, die ich erlernen möchte. Meist geht es mir aber darum, ein philosophisches Problem in eine materielle Form zu bringen. Ich werde, zum Beispiel, demnächst bei einem Papierschöpfer einen Kurs belegen, um eine bestimmte Arbeit mit einem Schriftzug als Wasserzeichen umsetzen zu können. Da ich überzeugt bin, dass meine Idee als ein Wasserzeichen den schlüssigsten Ausdruck findet. Ein Buchstabe, ein Wort oder ein Text sind etwas Geistiges, welches aber für eine tatsächliche visuelle Erscheinung eine bestimmte Materie braucht. Ich verbringe die meiste Zeit damit, dass angemessene Gefäß für meinen geistigen Impuls zu finden. 

»Kritzelei« oder kalligrafisch wertvoll. Was macht eine gelungene kalligrafische Arbeit aus? Welche Gütekriterien ziehen Sie zur Beurteilung schreiberischer Gestaltungsergebnisse heran? 

Meist entsteht eine gute Arbeit bei mir nur, wenn ich sie langfristig plane, und viele Skizzen und Vorarbeit leiste. Der Moment, indem nebenbei etwas wertvolles entsteht ist sehr selten und steht oft in Beziehung zu viel Vorarbeit. Gütekriterien gibt es vielerlei Art. Vor allem muss ich das Gefühl haben, das Idee und Form sich ineinander verschränken und eine Einheit bilden. Wenn eine Kritzelei sich mit der Idee der Arbeit am besten verbindet, ist sie die beste formale Umsetzung. Der andere Teil der Arbeit ist die Übung von handwerklichen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Allerdings ist es dann wiederum so, dass zu gutes Können eine Arbeit langweilig und perfekt wirken lässt. Ab einem gewissen Punkt ist es wichtig, sich einer Sache voll und ganz auszusetzen, um wirklich auch von sich selbst überrascht werden zu können. So kann dann eine Kritzelei eine höchst wertvolle Sache werden, wenn sie mit höchster Konzentration passiert. Für einen Schriftzug habe ich gerade viele Entwürfe gemacht und in einer Laune probierte ich dann mit einem ganz anderen Schreibgerät nebenbei etwas neues. Dieser Entwurf war dann der Überzeugendste für mich. Allerdings kann ich die Mühe mit den anderen Arbeiten nicht davon abziehen sondern auch diese waren notwendig, dass dieses »Nebenbei« entstehen konnte. 

Digital oder analog collagierte Kalligrafien können durchaus zu sehr überzeugenden Ergebnissen führen, jedoch ohne im eigentlichen Sinne Originale bzw. Unikate zu sein. Wie stehen Sie zu dieser Arbeitsweise?

Es kommt immer auf den Kontext der Arbeit an.
Wenn ich einen kalligrafischen Schriftzug für einen Kunden gestalte, ist das sichtbare Ergebnis entscheidend. Wie ich dahin komme ist völlig unerheblich für mein Gegenüber. Am Ende dieser Arbeit steht ein überzeugendes reproduzierbares Endergebnis in Form einer Datei. 
Oft ist aber für mich der Prozess einer Arbeit wichtig. Der Weg zu einer Arbeit sollte für mich interessant sein. Dafür ist es eine gute Vorrausetzung, dass ich mich einer Schreibfläche und einem Schreibgerät aussetze. Selbstbeschränkung ist eine wichtige Voraussetzung für das Arbeiten. Die Beschränkung auf das eine Blatt als Schreibgrund ist eine solche Selbstbeschränkung. So kann eine  innere Spannung bei der Arbeit oft erst entstehen. Wenn ein Entdecker mit einem Schiff in See stach, wusste er nicht genau wohin die Reise führte, er hatte aber eine Vision und einen Plan. Nur, wenn ich auch das Risiko auf mich nehme, dass ein mühsam geschriebenes Blatt in einem unkonzentrierten Moment nicht gelingt, erreiche ich Neuland. Wenn eine Arbeit in einem solchen Moment nicht gelingt, kann ich auch nicht sofort weitermachen, sondern ich warte den Moment ab, in dem ich innerlich die nötige Konzentration wieder besitze. Die Konzentration, nicht die Kontrolle, ist bei der Ausführung entscheidend.

Orginal oder Unikat sind für mich kein Wert an sich. Eine bestimmte Materialität einer Arbeit ist für mich dennoch entscheidend. Hinter der Verehrung von Unikat oder Original steckt womöglich oft der Gedanke von Authentizität. Diese Authentizität entsteht erst in Beziehung zu etwas. Zu einem Kunden (bei einer Auftragsarbeit), oder in Beziehung zu einem zu schreibenden Text, zu meinem Schreibwerkzeug und in der Beziehung zu der zu beschreibenden Fläche. Oder in der sinnlichen Freude eines Betrachters an der einladenden Schönheit, die durch die ganze Erscheinung einer Arbeit erst entsteht. Entscheidend ist in jedem Falle, dass ich bereit bin, mich auf diese Beziehung einzulassen und das es natürlich auch etwas gibt, was mich dazu verführt.

In der klassischen Kalligrafie sind es oft Aphorismen, Sprichwörter oder Zitate, die in den traditionellen Schriften geschrieben worden sind. Sehen Sie neue Ansätze und Themenfelder in der zeitgenössischen Kalligrafie?

Wichtig ist für mich zunächst klar zu stellen, dass es in der lateinischen Schrifttradition eigentlich keine Schreibtradition gibt. Es gibt für das Schreiben kein Ritual. Ganz anders ist das mit der Schreibtradition in China oder Japan. Wir in Mitteleuropa besitzen eine Lesetradition. Lesen ist in unserer Kultur ein zentrales und kontemplatives Ritual
Schreiben dient in unserer Kultur vorwiegend dem Aufschreiben, damit man eben lesen kann. Als in Mitteleuropa, im frühen Mittelalter, ausgehend von angelsächsischen Klöstern, die Schrift und die Idee des Lesens sich immer mehr ausbreitete, war Schreiben tendenziell eine eher körperlich sehr anstrengende Arbeit, die wenig kontemplativ war (Das beweisen Berichte aus dieser Zeit.). Daher kann man sich die Erfindung von Gutenberg eher als eine große Entlastung vorstellen. Allerdings konnten sich durch diese Entlastung zunehmend auch künstlerische Formen des Schreibens entwickeln. Die aber immer in einem sehr engen und wechselhaften dialogischen Verhältnis zu Techniken des Druckens stehen und gestanden haben. 

Ich finde die Vorstellung von zeitgenössischer Kalligrafie wenig förderlich, wenn es die Begriffe modern und traditionell als Gegensätze sieht. Für mich ist entscheidend, ob eine Arbeit etwas in mir persönlich bewegt, aber auch, ob deren Umsetzung eine Herausforderung für mich enthält. Womöglich geht es darum, den Gegensatz zwischen modern und traditionell in eine gute Balance zu bringen. Wenn man sich mit Schrift befasst, stehen vor allem Worte und Texte im Mittelpunkt der Arbeit. Das ist nach wie vor so, auch bei mir. Allerdings bedeutet für mich das Wort Text alles, was mit Hilfe lateinischer Zeichen geschrieben ist.
Als sich im 7. Jahrhundert die Technik, etwas Gesprochenes mit Hilfe von lateinischen Zeichen zu notieren, über ganz Mitteleuropa verbreitete, wurden vor allem geistliche Inhalte mit diesen Zeichen aufgeschrieben. Seit dieser Zeit hat sich der Umgang mit lateinischen Zeichen immer mehr ausdifferenziert. Natürlich kann auch eine kalligrafische Arbeit einen Lexikonartikel oder nur einen Klang notieren. Entscheidend ist auch hier der Kontext. Um besser nachvollziehen zu können, was ich meine, kann man sich die Arbeiten von Ian Hamilton Finlay ansehen, oder auch Beispiele von konkreter Poesie

Aesthetik vs. Information: Wie bewältigen Sie den Spagat zwischen kalligrafischer Form und Inhalt, ohne das Eines davon verloren geht?

Es geht darum, dass aus dem versus ein Miteinander wird. Ich bewältige dies vor allem dadurch, dass ich mich nicht auf eine Technik des Umgangs mit Schrift beschränke, sondern in einem Spannungsfeld zwischen Kalligrafie und Typedesign arbeite. Poesie und Information bilden für mich keinen Gegensatz. 
Auch die Erkenntnis, das es für eine Idee nicht nur eine schlüssige Form gibt, ist für meine Arbeit sehr wichtig. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist eine Form die Schlüssigste, zu einem anderen Zeitpunkt meiner Entwicklung eine Andere — für die gleiche Idee. Oft ist aber auch eine bestimmte kalligrafische Technik, oder ein bestimmtes kalligrafisches Werkzeug, Anstoss für eine Arbeit. Diese Dinge helfen mir, in verschiedenster Hinsicht mit Worten zu spielen.


In einem Zitat der Schriftkünstlerin Herta Spiegel aus Österreich heisst es »Kalligrafie ist heute längst nicht mehr nur traditionelles Schönschreiben — und nicht einmal unbedingt lesbar ! Die Schrift wird zum Medium einer sinnlichen und künstlerischen Gefühls- und Gedankenwelt.« Muss Kalligrafie heute trotzdem »schön« sein? Wie wichtig ist dabei die Lesbarkeit? 

Was ist schön? Schön ist im Sprachgebrauch, auch in Beziehung zu Schrift, leider ein leeres Wort geworden. In seiner Bedeutung bezeichnet dieses Wort, vor allem, etwas Formales. Eine formale Schrift, ist eine Schrift, die in einem hohen Maß an der Konvention »Lesbarkeit« orientiert ist. Menschen haben sich darauf geeinigt, dass man Schrift lesen kann. Daher ist es Aufgabe von Tradition genau diese Konvention zu bewahren. Der Gebrauch der Schriftformen bleibt aber nur lebendig, wenn diese Tradition immer wieder, in der jeweiligen Zeit, hinterfragt und verstanden wird. Warum sollte es bei diesem lebendigen Prozess nicht auch Schrift geben, die so informell ist, das sie sich im reinen Spiel von Strichen auflöst. Damit ist es allerdings auch keine Schrift mehr, sondern eben rhythmisch strukturierte Linien. An so etwas habe ich auch Freude.
Vorrangig geht es mir in meiner Arbeit aber eher darum, eine Brücke zu bauen, zwischen Information und Poesie, zwischen Idee und Materie etc.. Daher habe ich weniger Interesse an nicht lesbarer Schrift. Wenn ich dies favorisieren würde, bringe ich mich selbst um dieses wunderbare Wechselspiel zwischen lesbaren Inhalt und formaler Erscheinung von Schrift. Das manche meiner Arbeiten etwas mühsamer zu lesen sind, ist durchaus kein Selbstzweck, sondern dient der Arbeit und seiner inhaltlichen Aussage.

Immer wieder setzt sich kalligrafische Arbeit mit exakter oder freier Interpretation historischer Schriften auseinander. Wie wichtig ist Ihrer Ansicht nach die Kenntnis historischer Kalligrafie für die eigene kalligrafische Arbeit?

Erst in der Auseinandersetzung mit dem Fremden entsteht das Eigene. Historische Schriftformen zu Üben ist eine sehr wertvolle Technik um das Fremde in der eigenen Schrifttradition zu entdecken. Für mich ist dies eine ungeheure Bereicherung meiner Arbeit. Die Schriftgeschichte ist für mich eine Art Reise, auf die ich mich mit einem bestimmten Werkzeug begebe. Wie dies mit allen anderen Formen von Reisen ist, bringt man sich davon im günstigen Fall immer etwas mit. Eine Inschrift des Schriftgestalters und holländischen Schriftlehrenden Gerrit Noordzij bringt dies, einen apokryphen Bibeltext zitierend, gut zum Ausdruck: Etwas Neues ist nicht alt genug (Um die Abbildung hinter diesem Link zu sehen, bitte Button »Page 153« aktivieren.).

Typedesigner feilen jahrelang an zeitgemäßen Schriften. Editorial Designer entscheiden zwischen hunderten, teils sehr ähnlichen, oftmals serifenlosen Fonts, welcher der Passendste für Ihre Publikation ist. Zur Verbreitung von Informationen werden sachlich wirkende Schriftarten vor Schriften mit persönlicher Note vorgezogen. Wo sehen Sie konkret Anwendungsbereiche für handgeschriebene Informationen? Kann man jungen Gestaltern überhaupt noch zu einer beruflichen Orientierung in Richtung Kalligrafie raten?

Ist es den günstig jemanden zu einer einer bestimmten Zukunft zu raten? Ist jemand von einer Sache begeistert, sollte man das doch unterstützen. Aus Begeisterung kann dann Kompetenz entstehen. Vielleicht sogar Kompetenz für eine Sache, die es davor nicht gab, oder die es lange nicht mehr gegeben hat. 
Eine Handschrift, das Schreiben von kurzen persönlichen Texten und Briefen mit der Hand, ist zum Beispiel eine Sache, die erst seit dem 13. Jahrhundert in Mitteleuropa bekannt ist. Das Schreiben von Büchern im frühen Mittelalter ist etwas völlig anderes, als das was zum Beispiel Thomas von Aquin, im späten Mittelalter in den ersten scholas praktiziert wurde. 
Die Antike kannte die Kurzschrift (tironische Noten) um Gesprochenes zu notieren. Stenografie ist dafür eine gute Entsprechung. Diese Kurzschrift war während der Verbreitung der Technik »lateinische Schrift« aus dem Antiken Italien in den angelsächsischen Raum, und von dort sich über ganz Europa ausbreitend, völlig verloren gegangen. Das Mittelalter, bis in das 13. Jahrhundert, kannte keine Methode um Gesprochenes direkt zu notieren. So verschwinden Dinge und tauchen in verwandelter Form auch wieder auf. 




Autograph von Thomas von Aquin (1225–1274)
aus: Otto Ludwig - Geschichte des Schreibens, 2005

Im Hinblick auf die Verbreitung von Handschrift im Design, ist es wichtig zu sehen, dass die Gestaltung und Herstellung von digitaler Schrift ohne kalligrafische Fähigkeiten und Fertigkeiten ein völlig neues Phänomen ist. Bis in die 80iger und 90iger Jahre war ein guter Schriftgestalter immer auch ein Kalligraf, bzw. er besaß grundsätzliche Erfahrungen auf diesem Gebiet. Will Schriftgestaltung auch heute eine nachhaltige Tätigkeit sein, ist es sinnvoll auch kalligrafische Fertigkeiten zu besitzen. Sicherlich gibt es sehr viele spannende Schriften, die auch ohne diese Erfahrungen entstehen und entstanden sind, doch ist das direkte Erzeugen von Schrift mit der Hand, durch einen Strich, die nahe liegenste Erfahrung, um zu erleben was Schrift ist. 
Das wiederum nicht nur nüchterne Schrift die Landschaft des Editorial Design prägen, beweisen viele zeitgenössische Arbeiten von unterschiedlichsten Kalligrafen auch in diesem Bereich. Die Russin Yuliya Karina, der Amerikaner John Stevens, die Britin Allison Carmichael, der Italiener Luca Barcellona oder der Niederländer Job Wouters sind gute Beispiele für solche Arbeiten. 

Während handschriftlich beeinflusste Schriften eher in den USA oder Südamerika entstehen, sowie auch genutzt werden, sind es in Europa und speziell im deutschsprachigen Raum mehr die klaren Antiquas, die die Grafik bestimmen. Wie würden Sie dies beurteilen? 

Es gibt solche und solche Zeiten. Die Amerikaner und Südamerikaner betrachten die Arbeiten von Hermann Zapf und Karlgeorg Höfer als wichtigste Vorbilder ihrer Arbeiten. Ich sehe viel nach Nordamerika, England, um fachliche Inspiration für meine Arbeit zu finden. Aber auch in Deutschland ist doch diese Betonung einer sehr rationalen Gestaltung erst seit einer Generation bestimmend. Ich bin ein Enkelschüler von dem Gestalter, Kalligrafen und Schriftgestalter Axel Bertram. Dessen Arbeiten sind ohne geschriebene Schrift nicht zu denken. Er ist einer, von sehr vielen Gestaltern dieser Generation, deren wichtigstes Werkzeug die geschriebene Schrift war. Erst mit der enormen Verbreitung von Photosatz, der nicht zu trennen ist von einer gleichzeitig gewachsenen  bunten Zeitschriftenindustrie, sind enorm viele handgeschriebene Headlines und kurze Texte interessant geworden. Dann kam der Computer und dessen neue Ästhetik, mit, aus heutiger Perspektive, in den 80igern noch sehr begrenzten technischen Möglichkeiten. Nun sind die technischen Möglichkeiten im Umgang von Reproduktion von Handlettering leichter wie nie zu vor. Nur das Handwerk ist in Deutschland gerade zwischen dieser Zeit enorm zurück gegangen. Warum sollten solche jungen Umwälzungen und Veränderungen, im Hinblick zu einer  langen Schriftgeschichte, bedeuten, dass in Zukunft Handlettering nicht von Interesse ist?

Kalligrafisch basierte Schriften sind in der täglichen Wahrnehmung trotzdem durchaus präsent. Wie ist Ihre Meinung zu skripturalen Satzschriften wie z.B. der Zapfino? 

Ich beobachte in der Gestaltung einen Trend zu immer häufigerem Wechsel von Schriften. Gestalter wünschen sich auch im Umgang mit Satzschriften immer häufiger etwas Neues und Ausgefalleneres.
Viele Gestalter haben sich, ohne das sie es merkten, eher zu einem Verwalter und Organisator von vorgefertigten Dingen gemacht. Ein Kind welches von Spielzeug umgeben ist, welches für ganz spezielle Spiele vorgefertigt und bestimmt ist, bekommt nicht die Möglichkeit eigene Spiele zu entwickeln. Die vorgefertigten Spiele müssen immer wieder Neu und Anders sein, um interessant zu bleiben. Anders ist das bei einem Kind, welches mit Dingen umgeben ist, welche nicht so stark auf einen Zweck vorbereitet sind. Solche Dinge fördern die eigene Vorstellungskraft und lassen immer wieder neue abenteuerliche Spiele mit den gleichen Dingen zu. Ähnlich dürfte es einem Gestalter gehen, der zwar einen Computer mit unendlich vielen bunten Bildern besitzt, die aber nur seine Augen und sein Hirn fordern, seine Hände aber nur eine Tastatur bedienen lassen, während sein restlicher Körper stillgelegt ist. Der Gestalter aber, der es versteht, diese Maschine neben vielen anderen handwerklichen Werkzeugen einzusetzen, wird den Computer als eine offenes System erleben und den Computer tatsächlich in Gebrauch nehmen. Eine geübte Handschrift, die gut im Layout eingesetzt werden kann, kann manche Arbeit bereichern und ist unverwechselbarer, eigener Ausdruck des jeweiligen Gestalters.

Die Schrift von Zapf ist eine seltsame Sache. Sie versucht etwas zu sein, was sie nie sein wird. Aus einer kalligrafischen Form von Schrift wird  Typedesign. Dieses Typedesign imitiert, mit einem ingeniösen Großaufwand von OpenType-Features, Eigenschaften von kalligrafischer Schrift. Dieser Aufwand ist letzen Endes bei den meisten Benutzern gar nicht vorhanden oder wird nicht angewandt. Aber abgesehen von der Technik, liefert Jost Hochuli in ABC eines Typografen eine gute Erklärung für dieses Phänomen. Während es sich bei einer klassischen Script um ein formalisiertes Model einer bestimmten Schreibkonvention handelt, wird bei der Zapfino ein Kalligrafiestil von Herrn Zapf eingefroren. Ein anderes Beispiel dafür ist auch die Caflish Script. Das Orginal dieser Handschriften ist immer lebendiger als der Abguss. Beim Typedesign einer Antiqua ist der Formalisierungsprozess Teil der Eigenschaft dieser Antiqua. Bei einer kalligrafischen Formalisierung, die gegenüber dem Typendesign gerade von ihrem informellen Charakter lebt, wird Typedesign und Kalligrafie ad absurdum geführt. Nur in der Anerkennung der Zwiefältigkeit von Schrift bleibt Schrift lebendig. Bei den großartigen Arbeiten von Zapf liegt das Verständnis für Kalligrafie auf der einen, und Typedesign auf der anderen Seite offen, trotz seltsamer Produkte wie der Zapfino. Bei Typedesignern wie Ale Paul, die das mit der eigenen Hand produzierte, kalligrafische Typedesign nicht mehr schreiben können, bei denen dieses einfrieren von Kalligrafie aber zur Hauptaufgabe wird, geht dieser wichtige Unterschied  verloren und gerät zu Kitsch.






Zwei handschriftliche Zeilen aus einem Brief von Max Caflish und die beiden Zeilen in der Caflish Script von Adobe abgesetzt im Vergleich. Aus: Das ABC eines Typografen,Jost Hochuli, Edition Ostschweiz Nr. 12, 2011






In der öffentlichen Wahrnehmung wird die kalligrafische Arbeit nicht selten dem Kunsthandwerk zugeordnet. Ist dies Ihrer Ansicht nach gerechtfertigt? 

Die Debatte entweder Handwerk oder Design ist Ausdruck von Generationen, für die diese Trennung ein wichtiges Mittel der Abgrenzung und Selbstbehauptung darstellte, und immer noch darstellt. Meine Aufgabe sehe ich darin, wieder die Verbindung, gerade zwischen diesen Nachkriegsgenerationen zu sehen.
Kunsthandwerk wurde in Deutschland, unter vielen Gestaltern, als Gegenbegriff zum Design oder moderner Gestaltung verwendet. Ein Gegensatz den ich nicht vertrete. Genauso wie es nie möglich sein sollte, menschliche Gehirne auf eine Festplatte zu speichern, wie einige Forscher z.B. am MIT ja tatsächlich glauben, dass das möglich ist. Da mein ganzer Körper, nicht nur mein Gehirn, voller Erinnerungen steckt, die mich ausmachen, halte ich das nicht für möglich. Genauso wenig kann man die handwerklichen Fähigkeiten und Fertigkeiten aus dem Design ausschließen. Diese handwerklichen Fähigkeiten und Fertigkeiten sind doch Grundlage jeder folgenden rationaleren Tätigkeit. Daher sehe ich die Herausforderung immer eher darin, Brücken zwischen Handwerk und maschineller Reproduktion zu bauen. Sie sollen in einer fruchtbringenden Beziehung miteinander stehen. Die Kalligrafie (Ich nenne es lieber das Schreiben mit der Hand.), ist daher eine der handwerklichsten Tätigkeiten Schrift zu erzeugen. Die sinnlichste und körperlichste Form mit Schrift schöpferisch umzugehen. Sie steht in einer Skala der Schriftgestaltung am linken Ende. Am rechten Ende dieser Skala steht das Typedesign, Typografie und der digitale Umgang mit Schriftformen. Sie stellen den rationalsten Umgang mit Schrift dar. Ein nachhaltiger Umgang mit Schrift kann nur mit der Mühe um eine Balance dieser zwei Extreme entstehen. 


In Zeiten digitaler Medien mit ihrer rasanten Entwicklung scheint Kalligrafie weniger präsent zu sein. Gibt es Bereiche angewandter Gestaltung, in denen sich für die Kalligrafie zukünftig besondere Chancen und Möglichkeiten ergeben können? Wie sieht Ihrer Meinung nach die zukünftige Kalligrafie aus? 

Diese Frage erübrigt sich hoffentlich mit den vorausgehenden Anmerkungen. 

Was würden Sie sehr gern einmal kalligrafisch bearbeiten bzw. interpretieren? 

Die Projekte an denen ich im Moment arbeite.