Montag, 17. Dezember 2012

Schriftgestaltung

Ein Schriftgestalter ist ein Gestalter, der sich auch auf das Thema Schrift beschränkt, aber gleichzeitig sich die ganze Breite dieses Themas mehr oder weniger aneignet.
Daneben ist ein Typedesigner ein Spezialist, der sich hauptsächlich auf die Schöpfung eines Typedesigns, also mit der Herstellung eines Fonts beschäftigt. Zu vergleichen ist dieser Unterschied mit zwei Begriffen aus der Landwirtschaft: Der Permakultur auf der einen Seite und der Monokultur auf der anderen Seite. Während ein Schriftgestalter versucht ein Biotop, einen Garten, anzulegen, dessen einzelne Pflanzen sich jeweils gegenseitig bedingen, werden in einer Monokultur Pflanzen, weniger Sorten, im großen Stile anbaut.

Grundvoraussetzung für einen Schriftgestalter ist die Konzentration auf die Schöpfung von und mit Buchstaben, bei gleichzeitiger Offenheit für deren materielle Erscheinungsform und Umsetzung. Eine besonders fruchtbare Zeit für diese Haltung ist das Aufkommen und der Umgang mit dem Computer, bei einer gleichzeitig umfassenden Training von manuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Gute Beispiele von Gestalterpersönlichkeiten dieser Zeit sind Michael Harvey, Gerrit Noordzij, Axel Bertram oder u.a. das Ehepaar Gudrun und Hermann Zapf. Aber auch Fred Smeijers, der sich selbst als Typedesigner sieht, gehört zu diesen Vertretern.
Besonderes Kennzeichen dieser Gestalter ist die Existenz zwischen den verschiedensten Techniken, zur Erschaffung und dem Umgang mit Schriftzeichen. Statt einer sehr genau ausdifferenzierten Tätigkeit, handelt es sich bei dieser Form der Gestaltung eher um ein Tätigkeitsfeld. Dieses Tätigkeitsfeld lässt sich durch zwei Extreme begrenzen:
Man stelle sich eine Skala von Links nach Rechts vor. An dem linken Ende dieser Skala befindet sich die Kalligrafie, die sich aus der Beziehung von der gezeichneten Spur zu Sprache und Klängen entwickelt hat. Am rechten Ende der Skala steht das Typedesign, das mit der Schaffung von Satzschriften, die Grundlage der Typografie darstellt. Deren Aufgabe vor allem in der Vervielfältigung von Texten besteht.
Während die linke Seite eher auf manuellen sensitiven Umgang beruht, bezeichnet die rechte Seite eher eine diskret kognitive Tätigkeit.
Wie eine Bewegungsrichtung immer ein Woher und Wohin braucht, stellt die Kalligrafie eher das Woher dar und das Typedesign eher das Wohin. Diese Idee kann leicht zu der Überzeugung führen, sich nur um das Wohin zu kümmern. Doch eine tatsächlich innere Führung dieser Bewegungsrichtung kann immer nur aus einer stabilen Verbindung zwischen dem Woher und Wohin beruhen. Nur der, der weiß wo er herkommt, weiß wo er hin möchte. Es entsteht ein gestalterisches Unterwegs-Sein.





Die beiden Extreme, Kalligrafie und Typedesign, sind verbunden durch das Lettering.
Kalligrafie bezeichnet geschriebene Schrift. Das heisst, die einzelnen Teile eine Buchstaben werden durch jeweils einen Strich gebildet (Siehe Abb. obere Hälfte = eine Farbe ein Pinselstrich). Das ist die schnellste und spontanste Form, ein Wortbild zu erzeugen. Damit ist die Kalligrafie Grundlage aller Erscheinungsformen von Schrift. Allerdings ist bei dieser Technik die höchste Form der Konzentration und Übung erforderlich, um eine formale Qualität von Schrift, mit der Bewegung des eigenen Körpers zu erzeugen. Schreibwerkzeug, Medium (Farbe, Tinte etc.) und Schreibgrund können unterschiedlichster Erscheinung sein, wenn nur das oben genannte Kriterium erfüllt ist.
Aufbauend darauf, formt sich bei einer gezeichneten Schriftform (Lettering) der Buchstabe immer aus mehr als diesem einen Strich. Zur Verdeutlichung zeige ich in der Mitte der Abbildung, zwei Techniken zur Herstellung von Buchstabenformen. 
Der Formbildungsprozess in der Mitte links, zeigt eine von Gerrit Noordzij präferierte Möglichkeit. Aus einer Schraffur entsteht die Form eines Buchstabens, der erst im letzten Schritt mit einer Kontur begrenzt wird. 
Die in der Mitte rechts dargestellte Form zeigt eine andere Möglichkeit, die von Michael Harvey bevorzugt wird. 
Beide Methoden verbindet, dass sie nicht nur den Umriss einer Buchstabenform zeigen, sondern dessen körperliche Erscheinung betonen. Nur eine schwarze Buchstabenform kann eine gute Grundlage für die rhythmische Strukturierung des weißen Raumes, in und um einen Buchstaben, bilden.
Das Lettering beschränkt sich keinesfalls nur auf den Umgang mit einem Stift oder auch einem digitalen Zeichenwerkzeug. Lettering ist, im weiteren Sinne, zum Beisiel auch das was ein Stempelschneider oder Lettercutter tut.
Darauf baut das Typedesign auf: Das durch bestimmte kalligraphische Konventionen entstandene Wortbild, und dessen kleinste Einheit, der Buchstabe, werden in einem Prozess der Formalisierung überzeichnet (Lettering). Nachdem die schwarze Schriftform, auf einer Grundlinie, die weiße Innenform eines Buchstaben bestimmt hat, wird auch der weiße Raum um den Buchstaben, in Beziehung der möglichen vorhergehenden und nachfolgenden Buchstaben, genau bestimmt. Dieses Gebilde aus Form und Gegenform, samt Vor- und Nachweite, wird in einem nächsten Schritt reproduzierbar gemacht (Siehe Abb.). Insofern unterscheiden sich manueller Schriftsatz seit Gutenberg und digitaler Schriftsatz wenig voneinander. In einem wesentlichen Punkt ist der Unterschied doch wichtig: Die eine Technik beruht auf einem tatsächlichen Schriftkörper (Schriftkegel). Die andere erzeugt nur das Bild, was der Schriftkörper, auf der zu beschreibenden Fläche, hinterlässt. 
Innerhalb dieses Modells, zur Erklärung von Schriftgestaltung, kann man beobachten: In der Bewegung von Links nach Rechts entsteht eine Rationalisierung, eine Entkörperlichung. Es gibt daher ein Lettering, was in seiner Tendenz eher mit Typedesign in Beziehung steht, und es gibt ein Lettering, welches in seiner Tendenz eher mit Kalligrafie in Beziehung steht. 
Dieses theoretische Modell hilft das Schaffen eines Schriftgestalters abzubilden. In welcher Spannung jede einzelne Gestalterpersönlichkeit darin steht, zeigt sich in deren Werken. Wobei auch jedes einzelne Projekt jeweils innerhalb dieses Feldes positioniert sein kein. Ein Typedesign (z.B. Rialto oder Trinité) kann durch all die Spannungen dieses Feldes gegangen sein, wie auch ein Kalligraf oder eine kalligrafische Arbeit eine starke Verbindung mit der Formalisierung von Typedesign eingehen kann.